27.10.2024 - DIE BETONISTEN auf dem Empfang des DNK – 18 Uhr – Landesmuseum, Mainz
Das Mainzer Allianzhaus – It’s your birthday! Im Takt der Zeiten
„Es drängt mich, Ihnen als schlichter Bürger dieser Stadt Dank und Anerkennung zu sagen für die taktvolle Lösung der städtebaulichen, architektonisch so delikaten Aufgabe, einen modernen Verwaltungsbau, die Allianz, unmittelbar neben einer der schönsten barocken Kirchen Deutschlands zu errichten. Nach meinem persönlichen Empfinden ist Ihnen diese Aufgabe in hervorragender Weise gelungen. Der moderne Zweckbau der Allianz findet über die Brücke des Materials Anschluß an die Vergangenheit. Im Gegensatz zu vielen anderen Versuchen, Altes und Neues zu verbinden, handelt es sich hier nicht um einen Versuch, sondern um eine wahrhaft gekonnte Lösung.“
(Dr. Ernst Stratemeyer, 20. Dezember 1962)
Aus Herrn Stratemeyers Brief an den Architekten Ludwig Goerz geht eine Erleichterung hervor, die wohl viele Mainzer:innen geteilt haben müssen. Ihr „Aurae Moguntia“, ihr „Goldenes Mainz“ mit seinen engen Altstadtgässchen und prachtvollen Bauten von der Römer- bis in die Kaiserzeit war mit den schweren Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs in Flammen aufgegangen. Auch Marcel Lods moderne Vision einer geordneten Stadtplanung (1946) nach dem Vorbild Le Corbusiers und der Charta von Athen befeuerte die Identitätskrise der Stadtgesellschaft, die um die letzten Reste ihrer gebauten Vergangenheit fürchtete. Es brauchte „taktvolle Lösungen“, um der (verklärten) Vorstellung des vergangenen Mainz gerecht zu werden, ohne sich der modernen Lebensrealität zu entziehen.
Die Trümmerlandschaften boten jedoch auch neue Potentiale. Der Dom vom Schillerplatz aus oder die Doppeltürme St. Peters am Ende der Großen Bleiche – Aussichten, die uns heute selbstverständlich erscheinen – waren vor dem Zweiten Weltkrieg hinter Mauern verborgen. Dicht an die Fassade gerückt, verdeckte die Stiftsdechanei (Dechanei = Wohn- und Verwaltungsgebäude für Geistliche) vor dem Krieg weite Teile St. Peters. Für den seit 1954 in Mainz tätigen Stadtplaner Egon Hartmann war klar, dass sich hier die einmalige Chance auftat, einen städtebaulichen Dreiklang freizulegen: Lu – Dom, Kaiserstraße – Christuskirche und jetzt auch Große Bleiche – St. Peter.
Unter Hartmanns prominentem Nachfolger Ernst May begannen die konkreten Planungen zur Bebauung der Innenstadt. Sowohl St. Peter als auch die barocke Golden Ross-Kaserne (das Landesmuseum) wurden wegen ihrer historischen Bedeutung rekonstruiert. In einer gemeinsamen Fluchtlinie springen die Fassaden der modernen Neubauten der Landesbank- und Girozentrale (Architekt: Paul Schaeffer-Heyrothsberge) und des Allianzhauses weit von der Großen Bleiche zurück und bilden eine Bühne für die „Alten“ in der Nachbarschaft.
Ludwig Goerz hatte sichtlich Freude daran, diese „delikate Aufgabe“ umzusetzen. Er plante einen Komplex aus sechsgeschossigem Kopfbau mit angeschlossenem L-förmigen Riegel, in deren Stadtgeschoss ein Café, ein Blumenladen, die örtliche Filiale der Allianz und weitere Geschäfte sowie Verwaltungs- sprich Büroräume in den Obergeschossen Platz finden. 1963 konnte das Allianzhaus feierlich eröffnet werden und ist 60 Jahre später immer noch Taktgeber des kulturellen Lebens in Mainz.
© Vanessa Evard
Das Flachdach, das Konstruktionsverfahren der Lochfassade (= Öffnungen für Fenster und Türen/Löcher sind bereits im Rohbau fest eingeschlossen), die Gestaltung der Details – dies sind alles Merkmale einer modernen 60er Jahre-Architektur, die dennoch als „taktvolle Lösung“ im historischen Bestand erscheint. Aber warum? In der Höhe des Riegels orientierte er sich am zweiten Kranzgesims (= horizontales, umlaufendes Band/Gesims) von St. Peter. Subtil endet das Gebäude mit einem Fries aus Halbkreisen, welches an Prilblumen (auch wenn das Henkel-Marketing erst 1972 das ikonische BRD-Flower-Power-Symbol entwarf) oder noch stilechter an ein „Schorle“-Glas erinnert.
Doch der eigentliche „Eyecatcher“ ist das selbstbewusste Rot. Großflächig ist die gesamte Fassade mit roten Sandsteinplatten verblendet und es wird sofort klar, dass St. Peter, das Schloss und der Dom Vorbild für die Materialwahl waren. Seit den Römern ist der rote Mainsandstein, der in Steinbrüchen vom Spessart bis in den Odenwald gewonnen wird, ein beliebtes Baumaterial im Rhein-Main-Gebiet. Als romanischen Säule oder barocker Fenstersturz (= waagrechter oberer Abschluss einer Fenster-/Maueröffnung), als Ecklisene aus der Renaissance (= senkrechte, schwach hervortretende Mauervorlage an Ecken) oder wie im Fall des Allianzhauses die ganze Fassade wird Sandstein aufgrund seiner Farbigkeit und Formbarkeit vor allem als künstlerisches Material verbaut. Für das kurfürstliche Mainz spielte der Sandstein als Herrschaftssymbol eine wichtige Rolle und so findet man ihn den Main hinauf am Schloss Johannisburg in Aschaffenburg oder eben an der Mainzer Residenz vom Schloss bis zum Deutschordenshaus wieder.
Seit sechzig Jahre steht das Allianzhaus nun an seinem Platz zwischen Großer Bleiche und Flachsmarktstraße. Es ist selbst zum Symbol der Wiederaufbaugeschichte geworden. Oberbürgermeister Franz Stein wusste, wie Stratemeyer, um den Bammel der Mainzer vor Modernisierungswut, die in manchen Städten tobte und glaubte an den Erfolg der modernen Planungen (ob die OB-Wahl, die 1960 stattfand, hier mitschwingt sei mal dahingestellt):
„Viele Leute haben Angst vor dem Neuen. Sie glauben, nur das Überkommene könne ihnen die Gemütswerte bieten, ohne die sich der Mensch nicht heimisch fühle. […] Die Kunst der Städtebauer sorgt dafür, daß das neue Mainz nicht nur so schön wie das untergegangene wird, sondern daß es auch jene menschliche Atmosphäre erhält, in der sich ein Heimatgefühl entwickeln kann. So wie die Baumeister des kurfürstlichen Mainz, als sie über den Trümmern der mittelalterlichen Stadt ihre stolzen Barockbauten errichteten, eine zwar im Aussehen veränderte Stadt schufen, dennoch aber den Geist des Ortes zu wahren wußten, so wird auch das entstehende neue Mainz, das ewige schöne Mainz in neuer Form sein.“
(Oberbürgermeister Franz Stein, Mainz, deine Stadt, 1960)
von Jonas Grahl