27.10.2024 - DIE BETONISTEN auf dem Empfang des DNK – 18 Uhr – Landesmuseum, Mainz
Ein außergewöhnliches Gemeinschaftsprojekt – das ehemalige Mainzer Oblatenkloster St. Rabanus Maurus
Im Sommer 1960 bezogen 16 Ordensbrüder und ein Priester das seinerzeit wohl ungewöhnlichste Kloster Deutschlands: sieben Eisenbahnwaggons auf dem Hartenberg. Die 18 Tonnen schweren ausrangierten Kolosse der Deutschen Bundesbahn, die nahe der Baustelle abgestellt worden waren, ließen eher an ein großes Maurerlager als an die klösterliche Behausung einer Ordensgemeinschaft denken.
Schriftzüge und Warnhinweise an den Waggonwänden zeugten von ihrem einstigen Einsatz im Personentransport, kündeten die zweite Klasse an, warnten vor dem unbefugten Gebrauch der Notbremse und wiesen auf Stehplätze sowie Raucher- und Nichtraucherabteile hin. Nur ein unauffälliges Schild am Grundstücksrand verkündete, dass hier die Oblaten ihr neues Kloster St. Rabanus Maurus errichteten.
Unter dem eifrigen Gestaltungswillen der Ordensmänner wandelten sich die einfachen Zugabteile innerhalb weniger Wochen in klösterlich-asketische Zellen. Andere Waggons entkernten sie völlig. Es entstanden ein geselliger Speise- und Küchenwaggon sowie ein stimmungsvoller Kapellenwagen mit Altarwand und Kirchenbänken.
Getreu dem Leitspruch ora et labora errichteten die Ordensleute in den folgenden Jahren in Eigenregie eine Klosteranlage, die 30 000 m³ umbauten Raum umfasste. Neben den Patres und Brüdern sollte darin auch die Verwaltung der deutschen Ordensprovinz der Oblaten unterkommen, nebst dem Verlag sowie der Redaktion ihrer Missionarszeitschrift. Die Pläne der Anlage entwarfen die Frankfurter Architekten Robert Ried und Engelbert Eckert. Alles Weitere, vom Rohbau bis zu den Feinarbeiten, übernahmen die Ordensmänner.
Auf der Baustelle unterschied sie wenig von gewöhnlichen Bauarbeitern. Sobald jedoch die Glocke gemäß dem klösterlichen Rhythmus zum Gebet in den Kapellenwaggon rief, verstummte das geschäftige Treiben, die Arbeit wurde unterbrochen, Spaten und Kelle beiseitegelegt, der Maurerkittel abgestreift und die Soutane angelegt.
Das außergewöhnliche Gemeinschaftsprojekt sorgte schon damals für Aufsehen. „Sonderzug ins Himmelreich“ titelte die Bunte Illustrierte am 24. Dezember 1960 und schenkte dem klösterlich-handwerklichen Treiben auf dem Hartenberg über vier reich bebilderte Seiten. Die beachtliche Gemeinschaftsleistung der Oblaten und ihre unkonventionell-sparsame Übergangsbehausung weckten sowohl bei der regionalen Presse als auch bei großen Tageszeitungen wie Die Welt großes Interesse.
Nach fünf Jahren war die Anlage errichtet. Verwaltungs- und Wirtschaftstrakt sowie Kapellen- und Pastorialjahrbau umschlossen einen quadratischen Lichthof, den schlichte Kolonnaden mit schmalen Betonstützen und flacher Überdachung rahmten – eine radikal moderne Antwort auf spätmittelalterliche Kreuzgänge. Die Fassadenverkleidung aus handgeformten, rostroten Ziegeln stand in spannungsvollem Dialog mit dem modernen Baustoff Beton. Ästhetisch schlossen die wenig später auf dem Nachbargrundstück errichtete Pfarrkirche St. Rabanus Maurus, Pfarrheim und Kindergarten an den Bau der Oblaten an.
Ende 2016 mussten die Patres und Brüder ihr Kloster auf- und zum Abriss freigeben. Die Kosten der großen Anlage konnten von der immer kleiner werdenden Gemeinschaft nicht mehr getragen werden. Von dem einst lebendigen Klostertreiben und seinen außergewöhnlichen Anfängen zeugen nur noch die Erinnerungen einzelner Ordensbrüder sowie eine Vielzahl historischer Fotografien, die im Archiv der Oblaten neben diversen Presseberichten wohlbehütet liegen.
Heute steht auf dem einstigen Klostergrundstück eine fünfstöckige Wohnanlage, die im Rahmen des Projekts „Wohnen am Oblatenkloster“ durch die BWL-Wohnungsbaugesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Bauträger Fischer + Co. 2017-2018 errichtet wurde.
von Leonie Matt